Moderne Objektive zeigen heutzutage so gut wie keine optischen Abbildungsfehler mehr, wie chromatische Aberrationen, Vignettierung oder Verzerrungen. Spätestens beim Einsatz der entsprechenden Objektivprofile innerhalb der digitalen Weiterbearbeitung, werden die letzten Fehler digital herausgerechnet. Was bleibt sind oftmals austauschbare Bilder. Aber es gibt auch gegenläufige Trends, so gibt es in der Makrofotografie seit Jahren nicht wenige Anhänger des mehr als 60 Jahre alten Trioplan 100mm f/2.8 des Herstellers Meyer Optik Görlitz, mit dem es nahezu unmöglich ist ein scharfes Bild zu erzeugen, dafür aber ein unverwechselbares Seifenblasen Bokeh in die Bilder zaubert. Auf dem Gebrauchtmarkt werden hier teils aberwitzige Verkaufspreise erzielt, teils sogar für stark abgenutzte und technisch nicht mehr ganz einwandfreie Modelle. Dies führte sogar dazu, dass die Firma OPC den Hersteller Optik Meyer übernahm und seit 2021 unter anderen ein Trioplan 100mm f/2.8 II auflegte und dies für gängige Bajonette von Nikon, Sony, Canon Fuji und Anderen zum Preis von 999 EUR auf den Markt brachte. Ein stolzer Preis, freilich mit dem Vorteil nicht adaptiert werden zu müssen und frei von Fungus und Staub zu sein.
Inzwischen hat der Hersteller TTArtisan aus China ein ähnliches Unperfektobjektiv auf den Markt gebracht. Es orientiert sich nicht nur technisch an der Urversion des Trioplan, sondern auch äußerlich gleicht es ihm auffallend, es ist lediglich in schwarz gehalten. Ebenfalls gleich ist die Tatsache, dass es an moderne Kameras adaptiert werden muss, da diese Linse ausschliesslich mit einem M42 Schraubgewinde oder aber Leica M Bejonett ausgeliefert wird. Entsprechende Adapter für alle gängigen Kamerabajonette gibt es bei den diversen Onlineplattformen für wenige Euros. Natürlich ist dieses Objektiv wie sein Urahn rein manuell zu bedienen, bedeutet man hat weder einen Autofokus, noch wird die Blende elektronisch gesteuert, es ist also echte Handarbeit gefragt.
Das Objektiv wird in einer kleinen Pappschachtel geliefert und wenn man diese öffnet ist man erstmal überrascht wie klein diese Optik im Vergleich zu anderen wirkt. Der Tubus ist komplett aus Metal gefertigt und hat ein mattschwarzes Finish, die Objektivdeckel sind ebenfalls aus Metall und werden jeweils geschraubt. Eine Sonnenblende gehört leider nicht zum Lieferumfang, kann man aber für kleines Geld erwerben. Das Filtergewinde an der Frontlinse nimmt 49mm auf. Der Fokusring und der Blendenring haben das gleiche Design wie das vor 70 Jahren entwickelte Trioplan, funktionieren aber sehr angenehm mit einer Dämpfung. Insgesamt wirkt es auf mich hochwertiger verarbeitet, als ich es erwartet hatte. Es ist weder ein Spiel, noch ein klappern zu verspüren. Auch die Skalierung mit den Blendenwerten, Entfernung, Tiefenschärfebereich und Hersteller wirkt schön, ist sie doch eingraviert und in weiß gehalten.
Die mit bestellte Sonnenblende (49mm, 9,99 EUR) lässt sich ebenso mühelos und geschmeidig eindrehen wie der Bajonettadapter (M42 auf Canon RF, 17,99 EUR) um das Objektiv an meinen Bodys mit dem Canon R-System nutzen zu können. Der Adapter lässt sich an die Kameras leicht und ohne Widerstand ansetzen. Wichtig ist es noch, je nach Hersteller, die Funktion „Ohne Objektiv auslösen“ im Kameramenü zu aktivieren. Die Kamera merkt ansonsten nicht, dass ein Objektiv angesetzt ist, da keinerlei elektronische Signale übertragen werden. Das TTArtisan 100mm hat eine Naheinstellgrenze von 90cm, die kann mit Einsatz von Zwischenringen entsprechend verkürzt werden, was sicherlich für viel Naturfotografen in Frage kommt, um das Objektiv als Makro z.B. für die Blumenfotografie einzusetzen. Das manuelle Scharfstellen muss geübt werden, hier hilft bei den modernen Kameras Hilfsmittel wie LiveView mit Lupe oder auch die Funktion FokusPeaking die inzwischen viele Modelle unterstützen. Bei der Offenblende f/2.8 erreicht die Optik keine hundertprozentige Schärfe und auch die Kontraste könnten besser sein. Sofern das Seifenblasen-Bokeh gewünscht ist, erreicht man aber nur mit dieser Blende die „schönen“ Unschärfekreise. Voraussetzung ist natürlich, dass entsprechende Spitzlichter vorhanden sind oder künstlich erzeugt werden. Der Punkt mit der Schärfe war aber auch bei Trioplan kritisch, hier würde ich dem TTArtisan sogar einen kleinen Vorteil zusprechen. Aber ich denke wer über den Kauf diese Objektives nachdenkt, wird sicherlich nicht zu Gruppe der Schärfefanatiker gehören, sondern wird dieses eher kreativ nutzen.
Wer schon einmal über die Anschaffung der Vintage-Linse von Meyer Optik Görlitz nachgedacht hat, ist aus meiner Sicht mit dem TTArtisan 100mm f/2.8 besser bedient. Für die erstgenannte Option mit entsprechender Lebenserfahrung werden häufig um die 300 Euro innerhalb der diversen Gebrauchtplattformen aufgerufen, während der Nachbau aus China neu und somit frei von Kratzern und Fungus für 199 Euro überall erhältlich ist. Die Gefahr sich an dem Bubble Bokeh irgendwann satt zu sehen ist sicherlich gegeben, aber die Investition hält sich für den experimentierfreudigen Fotografen aus meiner Sicht in Grenzen. Die hier gezeigten Bilder waren erste Testaufnahmen aus meinem Garten und sollen nur zur Veranschaulichung dienen, ohne einen künstlerischen Anspruch dahinter.